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EGMR: Eine kurze Analyse zum Fall Verein KlimaSeniorinnen Schweiz und andere gegen die Schweiz
Am 9. April 2024 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Schweizer Regierung, weil sie keine wirksame Klimaschutzpolitik betreibt und das Recht auf Leben verletzt hat.
Bei den Beschwerdeführern handelte es sich um eine Schweizer Vereinigung älterer Frauen im Alter zwischen 78 und 89 Jahren, die sich seit 2016 für die Verhinderung des Klimawandels einsetzen. Die Klägerinnen beklagten sich über die durch die globale Erwärmung verursachten Gesundheitsprobleme und die Auswirkungen auf ihren Gesundheitszustand, insbesondere bei Hitzewellen. Nachdem sie alle innerstaatlichen Rechtsmittel in der Schweiz ausgeschöpft hatten, brachten sie den Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Die Anklage gegen die Schweiz bezog sich auf Artikel 2 (Recht auf Leben), Artikel 6 (Recht auf ein faires Verfahren), Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens), Artikel 13 (Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf) und die Kriterien von Artikel 34 (Opferstatus).
Der Gerichtshof stellte fest, dass eine Verletzung von Artikel 8 und Artikel 6 Absatz 1 der Konvention vorlag.
In Bezug auf Artikel 8 haben die Schweizer Behörden ihre Pflichten, die auch als positive Verpflichtungen bezeichnet werden, zur Umsetzung von Maßnahmen zur Verringerung der Auswirkungen des Klimawandels nicht erfüllt und somit ihr Ziel zur Verringerung der Treibhausgasemissionen verfehlt, während in Bezug auf Artikel 6 Absatz 1 ein Mangel an verfügbaren Möglichkeiten besteht, Beschwerden vor ein Gericht zu bringen, da der Fall vor der EMRK nur von einer Verwaltungsbehörde und dann von nationalen Gerichten auf zwei Zuständigkeitsebenen abgewiesen wurde.
Während diese beiden Artikel von der Schweiz ordnungsgemäß verletzt wurden, erklärte die Große Kammer die Beschwerden gegen Artikel 2 und Artikel 13 für unzulässig, da sie keine wirksamen Elemente gegen die Schweiz enthielten.
In Übereinstimmung mit Artikel 34 der Konvention nahm die Große Kammer dieses Urteil zum Anlass, neue Kriterien für den Opferstatus in klimabezogenen Fällen aufzustellen und mögliche zukünftige Fälle von actio popularis zu verhindern.
Man könnte argumentieren, dass die Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache Verein KlimaSeniorinnen Schweiz und andere gegen die Schweiz zu hart für die Schweizer Behörden war. Am selben Tag wurden zwei weitere Fälle, Carême gegen Frankreich und Duarte Agostinho u.a. gegen Portugal, in denen es um denselben Vorwurf des Klimawandels ging, für unzulässig erklärt. In der Rechtssache gegen Frankreich wurden die Beschwerden des Klägers nicht angenommen, da er nicht mehr an dem Ort lebt, an dem er Rechtsmittel einlegt, und die Rechtssache wird gemäß Artikel 34 als unzulässig betrachtet. Was die Beschwerden gegen Portugal betrifft, so haben die Antragsteller nicht alle innerstaatlichen Rechtsbehelfe ausgeschöpft, was gegen die in der Konvention festgelegten Anwendbarkeitskriterien verstösst.
Sicherlich hat die Entscheidung des Gerichtshofs gegen die Schweiz viele Kritiken und Zweifel an der Fairness des Urteils hervorgerufen, aber es war das erste Urteil des Gerichtshofs in einem Klimafall und bereichert somit die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.
Thomas AGUIAR, Ingrid POUWER, Marie-Lise SALAME, Chiara SOUVLAKIS, Nadia DJENNI
Nach Griechenland/EU fliegen, ohne dem Schweizer Portemonnaie zu schaden: Untersuchung einiger Feinheiten des Bundesbeitrags.
1. Koordination zwischen der Schweiz und der Europäischen Union
Der rechtliche Rahmen, der die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU regelt, beruht auf einem bilateralen Abkommen: dem Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (im Folgenden "FZA").
Dieses Abkommen verweist in seinem Anhang II auf die Europäische Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit sowie auf die Europäische Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004.
Die Koordinierungsregeln des FZA müssen vorrangig angewendet werden, auch wenn sie den europäischen Regeln zuwiderlaufen (Métral Jean/Moser-Szeless Margit, L'accord sur la libre circulation des personnes: coordination des systèmes de sécurité sociale et jurisprudence du Tribunal fédéral (II), REAS 2007, S. 169).
Diese Verordnungen ermöglichen eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Sozialversicherungsträgern der EU-Mitgliedstaaten und der Schweiz, insbesondere in Bezug auf die Alterseinrichtungen.
Insbesondere ist zu beachten, dass, wenn Sie in mehreren Staaten Beiträge zahlen, jeder Staat eine Rente oder eine Kapitalleistung zahlt, die den angesammelten Guthaben für die in seinem Land geleistete Arbeit entspricht. Eine Übertragung von Berufsguthaben zwischen Pensionskassen in verschiedenen Staaten ist nicht möglich. Wenn Sie also in mehreren Staaten Beiträge gezahlt haben, erhalten Sie je nach den geltenden Bedingungen eine Rente oder einen Kapitalabgang aus jedem dieser Staaten.
2. AHV-Rente (1. Säule)
In der Schweiz ist der Zugang zu den ordentlichen Leistungen der ersten Säule an die Vollendung des 65. Lebensjahres geknüpft (Art. 21 Abs. 1 AHVG).
Neben den ordentlichen Leistungen besteht die Möglichkeit, sich ein oder zwei Jahre vor dem ordentlichen Rentenalter, also mit 63 oder 64 Jahren, für eine Frühpensionierung zu entscheiden. Für den Erhalt der Frühpensionierung gibt es keine besonderen Gründe (schlechter Gesundheitszustand etc.), lediglich das Alter (Art. 40 Abs. 1 AHVG) und ein möglicher Einkauf in die reglementarischen Leistungen (Art. 1b BVV2) sind für die Bestimmung dieses Anspruchs relevant.
In Bezug auf ausländische Arbeitnehmer legt Art. 18 Abs. 2 AHVG fest, dass diese und ihre Hinterbliebenen ohne Schweizer Staatsbürgerschaft nur so lange Anspruch auf eine Rente haben, wie sie ihren Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz haben. Der Begriff des Wohnsitzes bezieht sich auf die Art. 23 bis 26 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Art. 13 Abs. 1 ATSG), und der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts (Art. 13 Abs. 2 ATSG) "entspricht dem Ort, an dem sich die betreffende Person eine gewisse Zeit aufhält, auch wenn die Dauer dieses Aufenthalts von vornherein begrenzt ist" (BGE 141 V 530, E. 5.1. und zitierte Ref.). Folglich verliert eine Person ohne Schweizer Staatsbürgerschaft, die die Schweiz endgültig verlässt, um sich im Ausland niederzulassen, ihren Anspruch auf eine Schweizer AHV-Rente.
3. Berufliche Vorsorge (zweite Säule)
In Bezug auf die berufliche Vorsorge (die 2. Säule) entsteht der Anspruch auf Altersleistungen ab dem Alter von 65 Jahren (Art. 13 Abs. 1 BVG).
Die im Laufe der Jahre auf dem Konto der beruflichen Vorsorge kapitalisierten Einkünfte können Gegenstand einer Rente (monatliche Auszahlung) oder einer einmaligen Kapitalauszahlung des gesamten Guthabens aus der beruflichen Vorsorge sein. Wichtig ist, dass eine Rentenzahlung erst ab einer bestimmten Beitragshöhe möglich ist, da ansonsten nur eine einmalige Kapitalauszahlung möglich ist. Um Ihren Betrag zu erfahren, erkundigen Sie sich bei Ihrer Pensionskasse.
Ein weiterer wichtiger Hinweis: Ein Kapitalbezug vor der Pensionierung oder dem vorzeitigen Rentenalter ist nicht möglich, wenn man die Schweiz endgültig verlässt, um sich in einem EU-/EFTA-Land niederzulassen (Vuilleumier Frédéric, Prévoyance professionnelle et aspects internationaux - partie II, in Droit fiscal et assurances sociales, en particulier la prévoyance professionnelle et les aspects transfrontaliers [de Vries Reilingh Daniel, Hrsg., Steuerrecht und Sozialversicherungen, insbesondere berufliche Vorsorge und grenzüberschreitende Aspekte]. ], Zürich (Schulthess) 2016, S. 159 ff., S. 178; Bundesamt für Sozialversicherungen BSV, Berufliche Vorsorge (2. Säule), Freizügigkeitsleistung: Vergessen Sie Ihre Guthaben und Vorsorge nicht).
4. Was ist beim Tod eines Ehepartners?
Der überlebende Ehepartner hat unter den folgenden kumulativen Bedingungen Anspruch auf eine Witwerrente:
- · Wenn der überlebende Ehepartner mindestens ein unterhaltsberechtigtes Kind hat oder das Alter von 45 Jahren erreicht hat (Art. 19 Abs. 1 Bst. a BVG) ;
- · Wenn er seit mindestens fünf Jahren mit dem Erblasser verheiratet war (Art. 19 Abs. 1 lit. b BVG) ;
- · Wenn der Erblasser ausreichend Beiträge (in die erste Säule) geleistet hatte ;
- · Wenn das Vorsorgeguthaben des Erblassers nicht vorgängig in Kapitalform bezogen wurde.
Hinterbliebenenrenten (hier die Witwerrente) werden in der EU unter denselben Bedingungen wie in der Schweiz ausbezahlt. Hingegen können sie in der Schweiz nicht gleichzeitig mit einer Altersrente ausbezahlt werden. Wenn die beiden Renten (wie die Witwerrente und die AHV-Rente) miteinander konkurrieren, wird die höhere Leistung ausgezahlt (Art. 24b AHVG). Wenn die überlebende Person mehr Beiträge gezahlt hat als der verstorbene Ehepartner, wird sie wahrscheinlich nur dessen Altersrente erhalten und umgekehrt.
In ähnlicher Weise kürzen einige Staaten ihre Leistungen, wenn Renten aus dem Ausland mit inländischen Renten kumuliert werden (Art. 10 der Europäischen Verordnung (EG) Nr. 987/2009).
5. Wahl zwischen Rente und Kapitalauszahlung und Auszahlungsmodalitäten im Ausland
Je nach Gesundheitszustand, Beitragsjahren, Bedürfnissen des Ehepartners, Lebensplanung usw. muss abgewogen werden, ob eine langfristig gezahlte Rente (in der Regel bis zum Tod des Begünstigten) oder eine Auszahlung der gesamten Beiträge (d. h. eine Kapitalauszahlung) vorzuziehen ist. Bei einer vorzeitigen Pensionierung wird die Kapitalauszahlung nur teilweise erfolgen: Eine auf dem Versicherungsschein angegebene Summe muss bis zum Erreichen des Rentenalters oder bis zum Tod auf dem Freizügigkeitskonto verbleiben. Dieser Betrag variiert je nach Pensionskasse.
6. Schlussfolgerung
Die soziale Vorsorge der Schweiz ist für Schweizer Staatsangehörige in ganz Europa zugänglich, für Ausländer jedoch nur in der Schweiz. Beachten Sie auch, dass die Gesundheit bei der Frühverrentung nicht relevant ist. Was die entscheidenden Entscheidungen betrifft, so ist eine Kapitalauszahlung zu bevorzugen, wenn die Gesundheit nicht optimal ist, um dem überlebenden Ehepartner den Zugang zu den Vorsorgegeldern zu erleichtern, während eine Rente vorzuziehen ist, wenn man eher den Komfort einer monatlichen Zahlung sucht.
Beachten Sie, dass diese Ratschläge grundsätzlich für eine Ausreise in jedes EU-/EFTA-Land gelten.
Antrag an den EGMR: Recht auf Leben unter Druck gesetzt
Als eine Mutter und ihre 38-jährige Tochter 2018 gemütlich auf einem Bürgersteig spazieren gingen, wurden sie von einem Fahrer erfasst, der die Kontrolle über sein Auto verloren hatte. Die Tochter war auf der Stelle tot und die Mutter wurde schwer verletzt. Die Schweizer Instanzen befanden den Fahrer nicht für schuldig, da die Umstände des Blackouts, auf den er sich berief, nicht genau bestimmt werden konnten. Das Schweizer Strafgericht sprach ihn daher von jeglicher Schuld und Strafe frei.
Wie kann ein Tötungsdelikt, selbst wenn es fahrlässig begangen wurde, straffrei bleiben? Diese Frage stellten wir den Richtern des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) und beriefen uns dabei auf Artikel 2 der Konvention, der besagt, dass "das Recht eines jeden Menschen auf Leben gesetzlich geschützt ist", sowie auf Artikel 6, der Garantien für den Verlauf des Verfahrens verlangt.
Nachdem sie alle Schweizer Instanzen durchlaufen hatte, wandte sich die Beschwerdeführerin (Mutter des Opfers) an den EGMR, um Gerechtigkeit für sich und ihre Tochter (die am Unfallort verstarb) sowie für den Unfall, der zu einer dauerhaften Invalidität geführt hatte, zu erlangen. Sie bringt mehrere Beschwerdepunkte gegen unsere Gerichte vor. Kurz gesagt, so die Beschwerdeführerin, haben die Schweizer Gerichte die Verpflichtung aus Art. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) missachtet. Dieser verlangt die Einrichtung eines wirksamen und unabhängigen Justizsystems, das es ermöglicht, die Umstände des Todes festzustellen und gegebenenfalls die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Diese positive Verpflichtung aus demselben Artikel muss so ausgelegt werden, dass sie im Zusammenhang mit jeder öffentlichen oder nichtöffentlichen Aktivität gilt, bei der das Recht auf Leben auf dem Spiel stehen kann (Ciechońska v. Polen, 2011, § 69; Banel v. Litauen, 2013, § 68). In diesen beiden Fällen räumte der EGMR ein, dass die nationalen Gerichte nicht alles getan haben, um ungerechtfertigte Verletzungen des Rechts auf Leben nicht ungestraft zu lassen. Ein solches Verhalten würde jeden Anschein der Duldung illegaler Handlungen verhindern und das Vertrauen der Öffentlichkeit aufrechterhalten (Oruk v. Türkei, 2014, §46).
In unserem Fall könnte der Freispruch des Fahrers als eine Schwächung der abschreckenden Rolle erscheinen, die ein Justizsystem bei der Verhinderung von Verletzungen des Rechts auf Leben spielt.
Die erste Beschwerde, die von der Beschwerdeführerin vorgebracht wurde, stützt sich darauf, dass die Schweizer Gerichte die Indizien nicht berücksichtigt haben, die zur Feststellung der Todesumstände führen können und die Verantwortlichen gegebenenfalls zur Rechenschaft ziehen können, sowie auf ihre Verpflichtung, das effektive Funktionieren eines bestimmten Rechtsrahmens zu gewährleisten. In diesem Fall begnügten sich die Schweizer Gerichte mit zwei medizinischen Gutachten, obwohl ein drittes vorlag, das eine gewisse Verantwortung des Fahrers befürwortete. Die Zuweisung der Verantwortung konnte auf der Grundlage der Ergebnisse des dritten Gutachtens, das auf einen möglichen Schlaf während des Unfalls hindeutete, nicht zugelassen werden.
Der zweite Vorwurf stützt sich auf den lückenhaften innerstaatlichen Rechtsrahmen für den Straßenverkehr. Dieses ist nicht abschreckend und streng genug, um eine wirksame Prävention von illegalen Handlungen zu gewährleisten. Das Schweizer Rechtssystem sieht kein Fahrverbot unter bestimmten Bedingungen vor. Darüber hinaus prangert die Beschwerdeführerin die Tötung an, die in diesem Fall ungestraft blieb. Weder Strafen noch Maßnahmen wurden gegen den Täter aufgrund der Einnahme von Medikamenten ergriffen. Diese hatten jedoch Auswirkungen, wie z. B. eine sehr starke Abnahme der kognitiven Leistung und Schläfrigkeit. Obwohl der Fahrer eine potenzielle Gefahr für die Verkehrssicherheit darstellte, wurde davon ausgegangen, dass er seine Sorgfaltspflicht nicht verletzt hatte. Die Schweizer Rechtsprechung setzt jedoch Fahrlässigkeit voraus, wenn der mutmaßliche Täter nicht die Aufmerksamkeit und die Anstrengungen unternommen hat, die von ihm erwartet werden konnten, um seinen Pflichten nachzukommen, die sich aus den Rechtsnormen ergeben, die zur Gewährleistung der Sicherheit und zur Vermeidung von Unfällen erlassen wurden (Urteil des Bundesgerichts vom 02.08.2016, 6B 965/2014, E. 3).
Die letzte Rüge befasst sich mit Artikel 6 der Konvention, der "das Recht auf ein faires Verfahren vor einem unparteiischen und unabhängigen Gericht" betrifft. Die Beschwerdeführerin beschwert sich darüber, dass die innerstaatlichen Gerichte keine neuen Bewertungen des Bündels von Indizien akzeptiert haben, das in einem der medizinischen Gutachten des Angeklagten enthalten war. Infolgedessen sei ihre Verteidigung bei der Prüfung von Beweisen, die durch medizinische Gutachten erbracht wurden, benachteiligt gewesen. Die Vorschriften über die Zulässigkeit von Sachverständigengutachten oder Zeugenaussagen dürfen der Verteidigung nicht die Möglichkeit nehmen, diese wirksam anzufechten, insbesondere durch Vorlage oder Einholung weiterer Gutachten und Berichte. In der Rechtsprechung zu Artikel 6 § 1 EMRK wird die Weigerung, ein alternatives Gutachten eines Sachbeweises zuzulassen, als Verletzung angesehen (siehe Stoimenov gegen die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien, Nr. 17995/02, §§ 38 ff., 5. April 2007).
Nulla poena sine lege, wie die EMRK in Artikel 7 erwähnt. In der Schweiz bedeutet das Fehlen einer Bestimmung, die ein bestimmtes Verhalten verurteilt, nicht, dass das gleiche Verhalten straffrei bleiben muss. Im vorliegenden Fall gibt es in Art. 117 des Schweizerischen Strafgesetzbuches eine Bestimmung, die namentlich die Tötung von Menschen unter Strafe stellt. Die Straftat ist nach wie vor von sicherer Schwere und es gibt keine Rechtfertigung dafür, dass sie ungestraft bleibt.
Als letztes Mittel wandte sich die Mutter an den EGMR, damit dieser die mögliche strafrechtliche Verantwortung des Fahrers feststellt.
Bis zur Entscheidung der Straßburger Richter bleibt zu hoffen, dass dieser Fall vor dem EGMR zur Klärung der Vergabe von Strafen für Handlungen, die strafrechtlich geahndet werden müssen, führen wird.
Campos Kelly, Jayo Paul, Mariotti Maeva und Pelletier Eloïse
Building Bridges: Das Vorzimmer der COP31 in der Schweiz.
Von Patrick Odier. Ehemaliger Senior Managing Partner der Lombard Odier Gruppe.
Die COP im Jahr 2026 auszurichten, wäre ein echtes Projekt für die Schweiz und die Schweizer. Es wäre auch eine Gelegenheit für Innovationen, indem ein vernünftigeres Format vorgeschlagen wird, das sich an die Umweltbeschränkungen anpasst und die Themen der Agenda besser auf Themen ausrichtet, bei denen die Schweiz über besondere Kompetenzen verfügt. Eine Grundsatzentscheidung des Bundesrates wird bis Anfang November 2022 erwartet.
Konkrete Verpflichtungen für mehr Wirkung
Die dritte Ausgabe von Building Bridges zeigte den Weg nach vorne. 6. Oktober 2022 in der Schweiz über 2000 Teilnehmer aus 51 Ländern und fast 16.000 Menschen zusammen, die sich einloggten, um die 68 Veranstaltungen des Programms zu verfolgen oder daran teilzunehmen.
In der Tat könnte Building Bridges ein Schritt in der Vorbereitung einer Schweizer Kandidatur für die COP 2026 sein. Building Bridges nutzt das einzigartige Ökosystem der Schweiz und hat es mit Unterstützung der Bundesbehörden geschafft, Akteure aus dem Finanzsektor, internationalen Organisationen, Universitäten, NGOs, dem öffentlichen und privaten Sektor und der Zivilgesellschaft für ein gemeinsames nachhaltiges Ziel zusammenzubringen.
Über die guten Absichten hinaus haben sich alle diese Akteure mobilisiert, um konkrete Verpflichtungen einzugehen, um den nachhaltigen Übergang zu beschleunigen. So wurden mehrere Initiativen ins Leben gerufen, die bereits bei der zweiten Ausgabe von Building Bridges im Jahr 2021 angekündigt wurden: insbesondere die "Swiss Climate Scores", die im Juni 2022 vom Bundesrat verabschiedet wurden. Sie messen nicht die ESG-Kriterien eines Unternehmens, sondern seine Ausrichtung auf das im Pariser Abkommen festgelegte Ziel der Reduzierung des CO2-Ausstoßes. Darüber hinaus sind viele Finanzakteure dabei, die Portfolios ihrer Kunden entsprechend ihrer Sensibilität für diese nachhaltigen Herausforderungen umzugestalten.
Die Finanzbranche: ein wichtiger Hebel zur Beschleunigung des Übergangs
In diesem Jahr wurden bei Building Bridges zwei neue Organisationen angekündigt, die sich mit Lösungen zum Schutz der Natur befassen: Nature- Finance und Innovante for finance. Aber wir müssen noch mehr tun, was die Ausbildung, die gemeinsame Sprache, den politischen Willen und die Investitionen betrifft, um schneller eine größere Wirkung zu erzielen.
Trotz dieser realen Fortschritte sind die Fortschritte nicht schnell genug. Insbesondere müssen die Rating-Systeme für Unternehmen, die eine Auswahl treffen und das Kapital in die tugendhaftesten Unternehmen lenken, klarer sein und auf einer wissenschaftlichen und transparenten Grundlage beruhen. Aber machen wir uns nichts vor, die Finanzwelt ist nicht allmächtig. Sie kann die Unternehmen bei ihrem Übergang zu einer nachhaltigeren Wirtschaft begleiten, unterstützen und stimulieren, aber sie kann nicht die industrielle Aktivität oder die Gesetzgebung der Staaten ersetzen. Wir sollten nicht von der Finanzwelt verlangen, zu sagen, was erlaubt oder verboten ist, oder zu beurteilen, ob der Einsatz von Schneekanonen in 2000 m Höhe zulässig ist oder nicht. Diese Entscheidungen müssen von den zuständigen Behörden getroffen, begründet und diskutiert werden.
Der Finanzsektor kann und darf diese gesellschaftlichen Entscheidungen nicht alleine treffen. Tatsächlich benötigt der Finanzsektor dringend die Führung und den Ehrgeiz der politischen Entscheidungsträger und der Realwirtschaft, um eine größere Wirkung zu erzielen. Eine der Herausforderungen der COP27, die Anfang November in Ägypten beginnt, wird die Fähigkeit der Politiker sein, der Versuchung kurzfristiger politischer Gewinne zu widerstehen, d.h. ihre Aufmerksamkeit auf die politischen, wirtschaftlichen und ökologischen Vorteile zu richten, die in einigen Jahren und nicht in einigen Wochen erzielt werden können.
Die kollektive Unvorbereitetheit auf extreme Wetterereignisse und die beispiellose globale Angst um die Sicherheit der Energie-, Nahrungsmittel- und Rohstoffversorgung sprechen für einen radikalen Sprung nach vorn bei der Neuausrichtung unseres Wirtschaftssystems auf die Grenzen unseres Planeten.
Höheres Ziel
Das derzeitige Modell des Wirtschaftswachstums mit seinen erheblichen Kollateralschäden muss in der Tat mit Hilfe der Finanzakteure und aller Interessengruppen neu überdacht werden. Dies ist der Grund für die Existenz von Building Bridges, die zeigen, dass dies möglich ist. Aber die Schweiz kann und sollte mit dem Schwung dieser Veranstaltung, die ihre Relevanz bereits unter Beweis gestellt hat, nach Höherem streben.
Unser Land genießt einen unvergleichlichen Ruf im Multilateralismus, dank seiner diplomatischen Agilität, seines UN-Erbes und seiner Neutralität. Was in der Schweiz im Dienste der humanitären Aktion und der Diplomatie erreicht wurde, ist eine universelle Referenz. Als Gastgeber der COP 2026 wäre die Schweiz an ihrem Platz, im Zentrum des Dialogs, um den notwendigen nachhaltigen Übergang zu gewährleisten. ■
Quelle: Le temps.24.10.2022 www.letemps.ch Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors Patrick Odier